Aufruf zur Silvestermobilisierung 2017

Beton bricht – Solidarität nicht! Kapitalismus bekämpfen. Repression zurückschlagen. Silvester zum Knast!

5.September 1977, 21.30 Uhr, ARD: Helmut Schmidt findet nach der Schleyer-Entführung deutliche Worte über die „Rote Armee Fraktion“: Es handle sich um „blindwütige Terroristen“, denen der Staat „mit aller notwendigen Härte antworten“ werde. „Die notwendigen Mittel und Hilfsmittel dafür werden selbstverständlich verfügbar gemacht werden.“ Am 18. Oktober werden die RAF-AktivistInnen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Zellen in der Stammheimer JVA aufgefunden. Irmgard Möller überlebt schwer verletzt.

Was zurückbleibt? Mindestens eine „unaufgeklärte“ Todesnacht in Stammheim – denn von staatlichem Mord darf heute noch immer nicht gesprochen werden. Sie bildete den Höhepunkt einer Phase, in der der Staat auf allen Ebenen gegen die revolutionäre Linke und ihre SympathisantInnen vorging. Der bewaffnete Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates, auf einige Symbole und Repräsentanten des Kapitalismus, sorgte vor vier Jahrzehnten tatsächlich für Nervosität in den oberen Etagen und durfte bloß keine weitere symbolhafte Wirkung entfalten. Mit Schnüffelparagraphen, Notstandsgesetzen, Todesschüssen in Feuergefechten, Rasterfahndungen und einer unerträglichen Hetze gegen alle, die sich dem verordneten Antikommunismus noch nicht völlig untergeordnet haben, stellte der „demokratische Vorzeigestaat“ schnell klar, dass es am Status-Quo kein Rütteln geben darf.

40 Jahre sind vergangen, das Kapitel RAF ist geschlossen, die Schüsse von damals sind längst verhallt und der kriselnde Kapitalismus taumelt mit ganz neuen Leichen im Keller über die Bühne der Geschichte. Was geht uns das alles also heute noch an?

80.000 DemonstrantInnen protestieren Anfang Juli 2017 in Hamburg gegen den Gipfel der 20 führenden Industrienationen und wehren sich gegen das Bewahren eines weltweiten Systems von wirtschaftlicher Ausbeutung, staatlicher Unterdrückung, Umweltzerstörung und Kriegstreiberei. Auf der Straße wird jede Regung antikapitalistischen Protests von einem übermäßigen Polizeiaufgebot drangsaliert und angegriffen. Das Ausmaß der Brutalität und die über den Gesetzen stehende Willkür ließen zwar aufschrecken, die Systematik der Repression war aber weder überraschend, noch zufällig. Schon zuvor wurden die Protestierenden in bürgerlicher Politik und Medien zu gewissenlosen ChaotInnen gemacht, für die es keine Toleranz geben dürfe. Die Polizei wurde für diesen Anlass mit neuen Waffen und Fahrzeugen aufgerüstet und pünktlich zum Gipfelbeginn mit Sonderbefugnissen ausgestattet. Wenige Monate zuvor wurde der §115 StGB eingeführt. Mit diesem sollen schon kleinste symbolische Handlungen, die der polizeilichen Allmacht auf der Straße entgegenstehen, mit hohen Strafen belegt werden können.

Spätestens mit der inszenierten Empörung über die nächtlichen Straßenschlachten in der Hamburger Schanze und den darauf folgenden Debatten gegen Links wurde deutlich, worum es den Herrschenden schon seit Beginn der Gipfelmobilisierung ging: Verbunden mit einer härteren staatlichen Hand gegen linke Aktivitäten soll das gesellschaftliche Klima weiter nach Rechts gedreht werden. Jede Akzeptanz für linke Politik aber auch für linke Freiräume und Präsenz, etwa im Kampf gegen Rechts, soll zunichte gemacht werden.

Stress aus Gründen

Der Kampf für ein Ende des Kapitalismus hat sich in den letzten Jahrzehnten natürlich verändert. Die Stadtguerilla in den 70ern und der Widerstand gegen die G20 müssen unter ganz verschiedenen Vorzeichen betrachtet werden. Unabhängig davon, wie wir die jeweiligen Ansätze und Versuche bewerten, ist eine Konstante geblieben: Repression. Ein deutscher Polizeiapparat, der gezielt über die Stränge schlagen und sich auf eine hetzende Stimmungsmache in Politik und Medien stützen kann.

Der staatliche Schlag gegen Links ist zugleich der präventive Schlag gegen ein mögliches Aufbegehren von Bevölkerungsteilen, die ihren sozialen Unmut zukünftig gegen den Kapitalismus, gegen seine RepräsentantInnen und Profiteure richten könnten. Er ist Teil des Klassenkampfes von Oben, also Teil der Absicherung der Herrschaft einer kleinen besitzenden Klasse über den Großteil der Bevölkerung. Die Aufrechterhaltung dieser Herrschaft hat viele Seiten: Das Verkünden der angeblichen Alternativlosigkeit dieses Systems wird mit „Zuckerbrot“ für privilegierte Teile der Ausgebeuteten und der repressiven „Peitsche“ für alle, die eben nicht nach den herrschenden Regeln funktionieren, ergänzt.

In allen Kämpfen gegen die Symptome und für die Überwindung des Kapitalismus werden wir mit staatlichen Angriffen konfrontiert. Daran lässt sich vorerst wenig ändern. Was wir aber ändern können, ist unser Umgang mit der Repression! Statt die Angriffe und Belästigungen passiv zu ertragen, wollen wir die Repression als Kampffeld begreifen. Es geht darum, Solidarität aufzubauen und der politischen Justiz der BRD politisch zu antworten: Indem wir konsequent zusammenhalten, die Legitimität unserer Kämpfe und Aktionen hervorheben und entschieden mit dem Märchen einer „über den Klassen stehenden“ Rechtssprechung schlussmachen.

Warum tun wir uns den ständigen Ärger mit Polizei und Justiz an?

Weil nur der Bruch mit diesem zerstörerischen System weltweiter Ausbeutung und Unterdrückung die Perspektive einer lebenswerten Gesellschaft für die gesamte Bevölkerung eröffnet. Die Solidarität, mit der wir den staatlichen Angriffen begegnen, ist zugleich das Prinzip, auf dem wir zukünftige Gesellschaftsordnungen bauen können: Die solidarische und kollektive Nutzung und Verwaltung all der Ressourcen und Reichtümer, die dem Großteil der Menschheit heute vorenthalten bleiben. Eine Organisation der Gesellschaft nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Menschen anstatt einer marktgesteuerten Profitwirtschaft. Dieser Ausblick ist es Wert, in Konflikt mit dem Staat zu geraten. Er ist es Wert, all den Verfahren, Geldstrafen, Festnahmen, Knüppelschlägen und Pfeffersprayschwaden zum Trotz, den Kampf fortzuführen und Menschen dafür zu begeistern.

Kommt am Silvesterabend mit uns zur JVA-Stammheim! Nicht nur, weil der Staat hier vor 40 Jahren besonders brutal seinen absoluten Machtanspruch demonstriert hat. Der Knast ist auch heute noch das härteste legale Mittel des deutschen Staates, um politischen Widerstand zu bekämpfen. Er ist zugleich der zum Scheitern verdammte Versuch, die aus den Verhältnissen resultierende Kriminalität wegzusperren. Es sind nicht zufällig zum größten Teil die wirtschaftlichen „Verlierer“, die dieses System am laufenden Band produziert, die als Kleinkriminelle die Knäste füllen. Lasst uns den politischen und sozialen Gefangenen an Silvester zeigen, dass sie nicht alleine sind und klarmachen, dass auch der Knast uns nicht ruhig stellen kann.

Das Problem ist dieses System, nicht seine GegnerInnen!
Auf zum Knastspaziergang! Für eine befreite Gesellschaft!

31.12.2017, 17.00 Uhr
U-Bahn Haltestelle Stammheim